: Hitler’s Northern Utopia. Building the New Order in Occupied Norway. Princeton 2020 : Princeton University Press, ISBN 978-0-691-19821-7 352 S. € 29,50

: Hitlers Norge. Okkupasjonsmakten 1940–1945. Oslo 2016 : Cappelen Damm, ISBN 978-82-02-51745-8 440 S. NOK 349.00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Moll, Institut für Geschichte, Karl-Franzens-Universität Graz

Es sind offenbar nicht ausschließlich runde Jahrestage, die zahlreiche Publikationen zu einem bestimmten historischen Thema hervorbringen. Das gigantische deutsche Bauprogramm im zwischen April und Juni 1940 von der Wehrmacht eroberten Norwegen hat lange – und hier vor allem hinsichtlich der tatsächlich ausgeführten Vorhaben insbesondere in Form von Küstenbefestigungen – eher sporadische und oberflächliche Aufmerksamkeit bei der historischen Forschung gefunden. Dies hat sich in den letzten Jahren drastisch geändert. Der Monografie von Ketil Gjølme Andersen Grossraum. Organisation Todt and Forced Labour in Norway 1940–45 (Oslo 2017) folgten 2018 ein Themenheft der „Historisk Tidsskrift“ (Oslo) und zwei Jahre darauf die Studie von Simon Gogl Laying the Foundations of Occupation. Organisation Todt and the German Construction Industry in Occupied Norway (Berlin/Boston 2020), um nur die wichtigsten zu nennen. Bemerkenswert ist, dass ein erheblicher Teil dieser jüngeren Forschungen entweder außerhalb Norwegens oder in englischer Sprache erscheint; auch die Herkunft der Verfasser ist mittlerweile eine globale.

Etliche frühere Studien zu den deutschen Bauprojekten stützten sich auf den nunmehr im Osloer Reichsarchiv (Riksarkivet) geordneten und zugänglichen Aktenbestand der ausführenden Organisation Todt (OT) beziehungsweise ihrer norwegischen Filiale (Einsatzstab Wiking). Diese Quellenbasis und Zugangsweise hatten eine gewisse Blickverengung auf Baukontrakte, Beschaffung von Baumaterial und Arbeitskräften, inklusive Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, zur Folge. Das neue Buch von Despina Stratigakos, die an der Universität Buffalo im US-Bundesstaat New York eine Professur für Architektur innehat, ist demgegenüber wesentlich breiter angelegt, will es doch das Spektrum deutscher Baumaßnahmen unterschiedlicher Dimensionen und Zwecke ausbreiten und die beliebte Konzentration auf spektakuläre Einzelprojekte zumindest teilweise vermeiden; ganz kann sich freilich auch Stratigakos der magnetischen Wirkung, die von den Mammutvorhaben ausgeht, nicht entziehen. Diesem breiten Ansatz folgend, hat sie ihre Quellen ausgewählt: Neben den zeitgenössischen deutschen Akten unterschiedlicher Ebenen (von der Baustelle vor Ort bis ins Führerhauptquartier) kommen die Erinnerungen einiger Beteiligter und insbesondere die damalige Presseberichterstattung zu Wort. Ausführliche Reportagen zum Baugeschehen brachten nicht nur seinerzeitige Fachzeitschriften für Architektur, Kunst und so weiter, sondern auch die deutsche und norwegische Presse, ja sogar jene der Exilregierung in London.

Wie sämtliche ihrer Vorgänger geht Stratigakos von der naheliegenden Annahme aus, dass das gewaltige deutsche Bauprogramm, dessen Dimensionen die staatliche Bautätigkeit im Vorkriegs-Norwegen um ein Vielfaches übertrafen, nicht nur kriegsbedingten praktischen Bedürfnissen der Besatzungsmacht diente (Bau von Küstenbefestigungen, Flugplätzen, Docks, U-Boot-Bunkern, Straßen und Eisenbahnstrecken, Soldatenunterkünften und so weiter), sondern eine ideologische Botschaft transportieren sollte: Deutschland werde den Weltkrieg gewinnen und Europa beherrschen, wobei die als rassisch hochwertig geltenden Norweger durchaus einen ehrenvollen Platz in dem von Hitler anvisierten Großgermanischen Reich einnehmen würden. Wer hierbei ausschließlich an die klassische Herrschaftsarchitektur im Stil der Nürnberger Parteitagsbauten oder Albert Speers Plänen für das zu „Germania“ umzubauende Berlin denkt, wird von einem Teil der Beispiele Stratigakos‘ überrascht sein: Nach einer Einleitung, die Hitlers kurze Seereise in einen norwegischen Fjord im April 1934 zum Gegenstand hat, und einem Überblick über die einschlägige deutsche Publizistik mit ihrer notorischen Tendenz, den Norden insgesamt und Norwegen im Speziellen zu romantisieren, folgen vier Kapitel mit Fallbeispielen, von denen zwei mit den quer durch das ganze Land errichteten Soldatenheimen für die Wehrmacht sowie mit den – bereits gut erforschten – Lebensbornheimen eher unspektakuläre Bau- beziehungsweise Umbauvorhaben zum Gegenstand haben. Die übrigen Abschnitte befassen sich mit dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, darunter den ebenfalls vielfach behandelten Straßen und Eisenbahnen nördlich des Polarkreises, der Anlage einer komplett neuen Großstadt samt riesigem Kriegshafen in der Nähe Trondheims sowie mit den Planungen zum Umbau etlicher norwegischer Städte, nicht nur der wenigen Großstädte.

Der Bogen spannt sich somit vom Einzelbauwerk, das wie die Soldatenheime obendrein ausschließlich deutschen Benützern zugänglich war und primär an sie die ideologische Botschaft der Heimatverbundenheit richtete, bis zur Errichtung einer neuen Stadt mit projektierten 200.000 Einwohnern, zumeist Deutschen. Es versteht sich, dass auch der Grad der Realisierung der unzähligen Vorhaben von ersten Architektenzeichnungen beziehungsweise vorläufigen Erhebungen betreffend Bodenbeschaffenheit, Materialbedarf etc. bis zum vollendeten Gebäude reicht. Manche Projekte griffen auf Vorläufer aus der Zeit vor 1940 (mitunter samt deren Schöpfern) zurück; andere wurden nach Kriegsende umgesetzt beziehungsweise fertiggestellt und nachgenutzt. Vieles blieb naturgemäß auf dem Papier, zumal nicht wenige Baustellen in der zweiten Kriegshälfte stillgelegt werden mussten. Heute noch sichtbar sind vor allem Teile der zahlreichen Anlagen für genuin militärische Zwecke: Bunker und Artilleriestellungen an der Atlantikküste sowie die vielen (teilweise bis heute genutzten) Flugplätze der deutschen Luftwaffe.

Stratigakos‘ Buch zeichnet nicht nur der Umstand aus, dass es nicht einzelne Baupläne isoliert voneinander betrachtet, und seien diese noch so spektakulär, sondern dass es das gesamte deutsche Bauprogramm oder doch wesentliche Teile davon in seiner Gesamtheit und somit als das behandelt, als was es seitens seiner Erfinder gedacht war: ein Gesamtkunstwerk, das in paternalistischer Manier den offiziell geschätzten Norwegern die vermeintlichen künftigen Segnungen deutscher Herrschaft unter Einschluss von Architektur, Baukunst und Verkehrspolitik nahebringen sollte. Es änderte wenig an diesem angedachten Oktroi, dass die Propaganda der Deutschen und ihrer norwegischen Kollaborateure um Vidkun Quisling nicht müde wurde, den Norwegern einzureden, der deutsche Baustil überwinde den angeblichen Verfall der Zwischenkriegszeit, indem er explizit an Norwegens Glanzperiode zur Zeit der Wikinger und im Hochmittelalter anknüpfen werde. Tatsächlich blieb die Beteiligung norwegischer Architekten und Künstler, wenngleich es sie durchaus gab, eng begrenzt und stets deutscher Aufsicht unterstellt.

Es ist erstaunlich, welche thematische Vielfalt die Verfasserin in ihrem nicht allzu dicken Buch, von dem mehr als die Hälfte auf Abbildungen und den Endnotenteil entfällt, auszubreiten vermag. Manches Detail und Einzelvorhaben, ganz zu schweigen von Begleitumständen wie dem mörderischen Zwangsarbeitereinsatz, waren zumindest dem Spezialisten bereits bekannt; hier werden sie jedoch in ein Gesamtpanorama eingeordnet, das erst die ganze Gigantomanie der deutschen Pläne, aber auch den Umstand deutlich macht, dass Norwegen im Fall einer Umsetzung ein völlig anderes Gesicht erhalten hätte. Die Autorin versteht es meisterhaft, ihre Thesen nicht nur zu verbalisieren, sondern sie anhand zahlreicher, teilweise farbiger Abbildungen in ihrem Buch buchstäblich sichtbar zu machen. Die Illustrationen sind nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern ein unverzichtbarer Teil der Analyse.

Das neue, opulent ausgestattete Buch von Despina Stratigakos fasst den in den letzten Jahren gewaltig ausgeweiteten Forschungsstand zum Thema der deutschen Bauten beziehungsweise Bauprojekte im besetzten Norwegen zwischen 1940 und 1945 bündig zusammen und bringt dadurch dem des Norwegischen nicht mächtigen Leser die in dieser Sprache publizierten Studien nahe. Obwohl kein Vorwissen vorausgesetzt wird, bietet diese meisterhafte Kombination einer architektonischen und einer historischen Zugangsweise auch dem Kenner der Materie zahlreiche und interessante neue Einsichten.

Bemerkenswerterweise beginnt auch Berit Nøkleby ihr 2016 auf Norwegisch erschienenes Buch Hitlers Norwegen. Die Besatzungsmacht 1940–1945, wie dessen Titel übersetzt lautet, nicht nur gleichfalls mit der angeblich verkaufsfördernden Nennung des Namens des Diktators, sondern wie Stratigakos mit Hitlers Kurzvisite in einem norwegischen Fjord im April 1934, teilweise sogar mit wortgleichen Quellenzitaten; ein Foto des Besuchs ziert das Cover. Nøkleby möchte eine Übersicht nicht eigentlich der Okkupationszeit, sondern der zivilen und militärischen Institutionen der Besatzungsmacht vorlegen, wobei sie die jahrzehntelange einschlägige Forschung zusammenfasst. Die lediglich fünfseitige Auswahlbibliografie nennt neben nicht weniger als 20 Titeln Nøklebys, darunter Zeitungsartikel, zwar auch deutsche und englische Publikationen, es fehlen jedoch die unverändert gültigen Standardwerke von Robert Bohn zum Reichskommissariat Norwegen (2000) und von Hans-Martin Ottmer zum „Unternehmen Weserübung“ (1994), der deutschen Besetzung Norwegens zwischen April und Juni 1940. Die inzwischen pensionierte Autorin (Jahrgang 1939) hat sich seit den 1960er-Jahren nahezu ausschließlich mit Norwegen im Zweiten Weltkrieg beschäftigt. Sie kennt die Quellen wie kaum jemand anderer und hat unter anderem 1992 die bisher einzige Biografie Josef Terbovens, des deutschen Reichskommissars in Norwegen zwischen 1940 und 1945, vorgelegt. Dennoch wirkt „Hitlers Norge“ nicht wie eine Lebensbilanz, geht es darin doch vorrangig um den deutschen Machtapparat, lediglich sekundär um die von diesem praktizierte, bereits gut erforschte Politik.

Das Buch ist eine eigenartige Mischung aus Überblicksdarstellung, Lexikon und „Human-Touch-Themen“ in Form von Anekdoten, Zeitzeugeninterviews und Zitaten aus Ego-Dokumenten wie Briefen und Tagebüchern. Bevor der vielgliedrige Apparat der Besatzungsmacht zur Sprache kommt, rekapituliert das erste Viertel des Bandes die Vorgeschichte der Besetzung seit dem Ersten Weltkrieg bis hin zum ausführlich und unnötig detailreich geschilderten „Unternehmen Weserübung“. Erst dann betreten die deutschen Akteure (Reichskommissar, Wehrmachtbefehlshaber Norwegen, Höherer SS- und Polizeiführer Nord und andere) und deren Institutionen die Bühne. Der Abschnitt über die Wehrmacht – zeitweilig waren in Norwegen mit seinen damals drei Millionen Einwohnern rund 400.000 deutsche Soldaten von Heer, Luftwaffe, Kriegsmarine und Waffen-SS stationiert – liest sich wie ein Militärlexikon und tatsächlich stützt sich Nøkleby hier vor allem auf die Website http://www.lexikon-der-wehrmacht.de. Divisionen, Regimenter, selbstständige Abteilungen, Luftflotten, Geschwader, Staffeln, Flottillen und U-Boote begegnen dem Leser hier mit ihren (häufig wechselnden) Kommandeuren und Standorten, Kopfstärken von Männern und Pferden, ihrer Ausrüstung etc. Passagen über die in Norwegen stationierten schweren deutschen Kriegsschiffe mit Details betreffend Tonnage, Bewaffnung und so weiter sind einschlägigen Marinehandbüchern entnommen, aus denen auch die wenigen Karten des Buches stammen. In ähnlicher Weise als Organigramme gestaltet sind ferner die Angaben zum Reichskommissariat sowie zum SS- und Polizeiapparat, über deren Aufgaben und Befugnisse man über Gliederung, Dienststellen und Postenbesetzungen hinaus allerdings mehr erfährt als über das Militär.

Teile des Textes folgen einer chronologischen Anordnung, wie einschlägige Kapitelüberschriften („Das erste Jahr“; „1943 – das Kriegsglück wendet sich“; „das letzte Jahr der Besetzung“) anzeigen. Dazwischen sind allerdings permanent zahlreiche Querschnittsmaterien sachlicher und biografischer Natur eingebaut, sodass es mitunter nicht leichtfällt, einen roten Faden zu erkennen. Am ehesten tragen jene Ausführungen Nøklebys einen verbindenden Charakter, in denen es um innerdeutsche Machtkämpfe insbesondere zwischen Terboven und der Wehrmacht sowie um die Frage geht, wie die Besatzungsmacht mit dem bei seinen Landsleuten extrem unpopulären Kollaborateur Vidkun Quisling umgehen sollte, und zwar vor und nach dessen umstrittener Ernennung zum Ministerpräsidenten am 1. Februar 1942. Selbstredend kommen die in Norwegen noch immer virulenten Themen deutsch-norwegischer Lebensborn-Kinder, der Bekämpfung der eng mit Großbritannien zusammenarbeitenden Widerstandsbewegung sowie der von der deutschen Wehrmacht bei ihrem Rückzug aus Nordnorwegen im Winter 1944/1945 angerichteten systematischen Zerstörungen ebenfalls ausführlich zur Sprache.

Während der reich und ansprechend bebilderte Band für den Fachmann kaum Neues beinhaltet, findet eine breite Leserschaft, an die sich Nøkleby erkennbar wenden will, einen soliden, wenngleich ziemlich erratisch gegliederten Überblick über den deutschen Besatzungsapparat in Norwegen. Aus der Sicht des Rezensenten hat sich die Art der Gestaltung – viele sehr kurze, oft nur eine bis zwei Seiten lange Abschnitte und Verschmelzung höchst unterschiedlicher Textsorten wie lexikalischer Daten und Augenzeugenberichte – nicht sonderlich bewährt. Deutschsprachige Leser, die nicht an der Sprachbarriere scheitern, werden obendrein mit der ungewohnten, nicht leicht erschließbaren Zitierweise in den Endnoten zu hadern haben. Positiv hervorzuheben an dieser Collage ist der Umstand, dass Nøkleby sichtlich darum bemüht ist, Sachverhalte, Ereignisse und Personen für Leser ohne Vorkenntnisse verständlich zu erläutern.

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